Manchmal führt eins zum Anderen und ich werde nicht müde zu betonen, dass es stets lohnenswert ist, die eigenen Projekte zu zeigen. Aus einer Frustration heraus, meinen eigenen (bisher) unerfüllten Kinderwunsch betreffend, entstand das Kunstwerk „Dämon des Kinderkriegens“. Ganz profan mit dickem Pinsel, schwarzer Farbe auf einen großen Karton gemalt. Der Karton war eben gerade da und die Emotionen mussten raus. So passiert mir das oft, wenn große Gefühle meinen Körper durchströmen: ein Maluntergrund und Farbe, mehr brauche ich nicht, um mein Nervensystem in solchen Situationen zu beruhigen.
„Carmen, geht es dir gut?“, nicht nur einmal habe ich diesen Satz gehört, als eines meiner düsteren Kunstwerke betrachtet wurde. Was für ein Kontrast, gegenüber der sonst so lebensfrohen Carmen Hiller, mochte die BetrachterInnen sich wundern. „Mir geht es gut. Weißt du warum? Weil das da nicht mehr in mir drin ist.“, ist stets die Antwort, die ich gebe.
Zugegeben, mir ist bis heute nicht klar, wie andere Menschen es schaffen, Schicksalsschläge, Traumatisierungen, depressive Phasen und was das Leben noch so auf der Schattenseite zu bieten hat, zu verarbeiten, ohne dem Ganzen kreativ Ausdruck zu verleihen. Vielleicht schaffen sie es auch gar nicht, sondern verdrängen nur … möglich.
Sind wir es doch in der Regel nicht gewohnt, mit Gefühlen umzugehen, schon gar nicht mit den „schlechten“. Hier sei angemerkt, dass Gefühle weder gut noch schlecht sind und sich einen Scheiß um unsere Bewertungen scheren.
Als der „Dämon des Kinderkriegens“ das erste Mal eine Ausstellungshalle mit seiner Anwesenheit beglückte, kam meine Verlegerin, Sarah Schreiber vom Gedankenkunst Verlag, auf mich zu und fragte an, ob ich nicht einen passenden Text zum Thema unerfüllter Kinderwunsch schreiben könne, meine Perspektive auf dieses Thema darlegen wolle. Sie sammle gerade Texte für eine Anthologie über Angst und Mut. Genial, dachte ich und schrieb den folgenden Text, unsicher, ob ich wirklich den Mut besitzen würde, diese äußerst persönlichen Zeilen zu veröffentlichen. Ich fand ihn …
Der Dämon des Kinderkriegens
Du hast die Dreißig gerade geknackt und deine Freundinnen schicken dir Hochzeitseinladungen, Urlaubsfotos, händchenhaltend am Strand … ein Babybauch hier, ein Ultraschallbild dort … manche sind schon so weit gekommen, dass die obligatorische Grußkarte dich erreicht. Du siehst darauf ein kleines rosafarbenes Menschlein selig schlafend, die Füßchen von sich streckend, den halbgeöffneten Mund zu einem seltsamen Schmunzeln formend. Dieser Anblick impliziert eine heile Familienwelt, die sich mit Sicherheit in einer idyllischen Doppelhaushälfte abspielen wird – zumindest vermutest du das. Das kleine Würmchen weiß noch nichts vom Leben, davon, dass irgendwann einmal nicht mehr alles behütet und heil sein wird, Schrebergarten hin oder her. Es erahnt nicht einmal, dass der Schutz von Mama und Papa nicht alles Leid abwenden können wird … das Leben, dass Lieben wehtut, dass das Schicksal einen nicht immer rosarot anlächelt, wie einst die nährende Brustwarze von Mama. Nein, das weiß das kleine Knöpfchen nicht, dass durch diese gut gemeinte Postkarte, deine bittersüßesten Träume wachgeküsst werden und neben der Freude, die du wirklich zu fühlen versuchst, auch einen unwillkommenen Schwall Bitterkeit in dir hochkommt.
Mittlerweile, mit Mitte Dreißig, kannst du dich darüber nur wundern, dass du bereits damals so vom Neid zerfressen warst, wo du doch noch alle Zeit der Welt hattest. Oder etwa nicht? Wenn das wirklich war, gewesen sein sollte, warum hast du dann damals immer wieder diese und ähnliche Fragen gehört? „Na, wann ist es bei euch so weit?“ Zur Beantwortung dieser Frage ist es kaum gekommen, war dieses sogenannte euch, doch oft schneller Geschichte gewesen als dir lieb gewesen war und das obwohl, oder gerade, weil, du es unbedingt und mehr als alles auf der Welt wolltest … dieses wir von dem sie alle schwärmen. Ja, das wolltest du wirklich. Dieses wir, das anscheinend dringend mit einem Ehevertrag dingfestgemacht werden musste. Vielleicht hatten sie recht und eine Partnerschaft hatte es tatsächlich schwerer, ihren Aggregatzustand von fest zu flüssig zu flüchtig zu ändern, wenn alle denen es wichtig war, gesehen hatten wie zwei Ringe, zwei Finger fanden, wie Versprechen gegeben wurden, von denen jeder wusste, dass sie alles andere als eine Garantie sein konnten. In der Liebe gibt es keine Garantien. Die Liebe genügt sich selbst und wird jeden Augenblick neu geboren. Oder eben nicht. Manche Liebe vergeht, doch ist sie deswegen nicht weniger wert, das zumindest, wusstest du schon damals.
Es gibt eine Liebe, die nie vergeht, sagt man, die Liebe einer Mutter zu ihrem Kind. Bedingungslos soll sie sein, die Liebe zu dem Wesen, das im eigenen Bauch die Erfahrung machen darf, über sich hinaus zu wachsen und dabei stets von liebevoller Geborgenheit umhüllt ist. Eine Erfahrung, die wir Menschen Zeit unseres Lebens versuchen zu reproduzieren. Wieso liebt dich denn keiner bedingungslos? Wieso freut sich keiner, dass du dich weiterentwickeln und mehr werden willst? Wieso schreit niemand Hurra, wenn du wieder die nächste verrückte Idee hast, was du aus deinem Leben machen willst, welche Berge du zu besteigen gedenkst, welche Lieder du zu singen vermagst, welche Pokale du in deinem viel zu vollen Bücherregal zusammen mit den unzähligen ungelesenen Büchern verstauben, sehen willst? Weil du dich selbst nicht bedingungslos lieben kannst. So ist es doch, oder? Alles beginnt in dir: Liebe beginnt in dir, auch die Liebe, die eine Partnerschaft erst möglich macht. Keine Beziehung, kein aneinander ziehen, ein Partnersein … Ein echtes wir eben, gebildet von zwei Individuen. In Liebe verbunden, frei zu wachsen. Wie im Mutterleib, da haben wir es wieder.
Jetzt, mit Mitte Dreißig, ist es allerdings immer noch nichts geworden mit dieser Partnerschaft, die du dir so sehnlich wünschst, die eine Familienplanung denkbar macht. Doch immerhin, hat es gefühlt bei allen anderen funktioniert. Da sind alle froh, denn irgendjemand, in diesem Falle du, ist schließlich immer übrig. Nichts worüber man sich Sorgen machen müsste, zumindest nicht, solange man selbst nicht betroffen ist. Und Hey: Die Hoffnung stirbt zuletzt. Sagt man doch so. Das tut sie, gemeinsam mit der letzten Eizelle – immerhin nicht einsam und allein. Hat die es gut. Eine Bitterkeit, über die du nicht sprechen darfst. Glücklich hast du zu sein als kinderloser Single. Schließlich musst du keine Windeln wechseln, musst du nachts nicht zu Unzeiten aufstehen und hast wenigstens noch einen Vornamen. Mama kann schließlich jeder heißen oder so ähnlich.
Wo kommt er eigentlich her, dein inniger Kinderwunsch? Fühlst du es, wenn du an besagte letzte Eizelle denkst? Das nahende Ende einer sinnerfüllten fraulichen Existenz. Der Gedanke macht dir Angst, auch wenn du angeblich noch Zeit hast … da streiten sich die Geister. Kein Wunder also, dass auch dein Geist immer wieder anfängst, sich darüber mit deiner Intuition zu streiten, die für ihren Teil für tiefes Vertrauen in deinen Weg plädiert. „Hätte es funktionieren sollen, hätte es funktioniert.“ „Nichts ist so schlecht, dass es nicht für etwas gut ist.“ Du kennst diese Sprüche zur genüge, verteilst sie selbst in regelmäßigen unregelmäßigen Abständen an deine Freunde. Selbst daran glauben, wenn es so weit ist – schwierig. Das erzählst du allerdings lieber keinem. Schließlich ist nicht einmal klar, ob du überhaupt das Recht hast dich in Traurigkeit und Bitterkeit zu verkriechen. Zählt dein Kinderwunsch als gefährdet, nur weil deine Uhr tickt? Hattest du denn schon einen Partner, mit dem du vergeblich versucht hast Kinder zu bekommen? Nein? Hat dir deine Frauenärztin gesagt, dass du vermutlich nie ein Baby im Bauch tragen wirst, weil dein Körper dafür nicht vorgesehen zu sein scheint? Hattest du dann wenigstens schon eine Fehlgeburt zu beklagen? Auch nicht? Ja dann, so fürchte ich, hast du noch gar kein Recht traurig zu sein und Angst zu haben. Hast du trotzdem? Okay, dann komm aber bitte wenigstens damit klar und lass alle anderen, die Glücklichen, damit in Ruhe.
Schau, es gibt schließlich viele die keine Kinder wollen, auch Frauen. Nimm dir ein Beispiel an denen. Manche stehen dem Kinderthema sogar völlig neutral gegenüber: wenn ja ist es schön, falls nein, ist es auch schön. Was für ein entspanntes Leben das sein muss – offen für alles. Wundervolle beruhigende Vorstellung, wie du findest. Doch leider lässt sich diese Haltung nicht kultivieren, zumindest hast du noch nicht den Knopf in deinem Inneren gefunden, der dafür zuständig wäre. Du bist dem Thema nämlich sehr wohl tief auf den Grund gegangen. Du hast zwischenzeitlich sogar in Frage gestellt, ob das wirklich sein muss, dieses Kinderkriegen. Ob du nicht einfach besessen bist von einem dunklen Dämon, der dir täglich den Uterus streichelt und ein leises Flüstern zu deine Eizellen schickt, hast du dich gefragt. „Krieg Kinder.“, „Krieg Kinder“, „Krieg Kinder.“ … Das ging so lange, bis es nur noch ums Kriegen ging, dich selbst bekriegen. Dich selbst dafür verurteilen, dass es nichts wurde mit der großen Liebe und dem kleinen rosafarbenen Menschlein. Zumindest bisher. Vielleicht für Immer. Was der Dämon dazu sagt, von dem du inzwischen weißt, dass sie existiert? „Dann, dann ist dein Leben vorbei und du stirbst … zusammen mit der Hoffnung und deiner letzten Eizelle.“
Da dieser Dämon des Kinderkriegens viel zu wissen schien, hast du angefangen dich mit ihr zu unterhalten, schließlich wolltest du wissen, wieso das alles so wichtig und dringlich war. Wenn sterben, dann wenigstens wissen wofür. Sie sagte dir, wenn du ein Kind hättest, dann hättest du immer jemanden, der dich liebt und du wärst nie mehr allein. So viele, denen du vertraut und geglaubt hattest, hatten dich allein gelassen. Anscheinend war es schwer gewesen zu sehen, dass deine Fehler oft aus Angst geboren worden waren. Eben jener Angst allein gelassen zu werden. Eine bittere Ironie, dass eben diese Angst mitunter Verhalten hervorbrachte, das es anderen unmöglich zu machen schien, bei dir zu bleiben. Eine Bindung, auf die du dich verlassen können würdest, das klang tatsächlich verlockend. Nach einer Weile der Stille hattest du dem Dämon erklärt, dass du verstehst, was er dir hatte sagen wollen. Du hattest sie darauf hingewiesen, dass kein Kind, auch nicht dein eigenes, jemals verpflichtet sein wird, dich zu lieben, dass du nicht diejenige werden wolltest, die dem Kind eine Verantwortung auf die kleinen Schultern lädt, die es niemals tragen können wird: Die Verantwortung, Mama glücklich zu machen. Nein, das wolltest du nie, anderen Bedingungen für deine Liebe aufzwängen. Du zeigtest dem Dämon dein Herz, welches voller Narben war, es pulsierte und strahlte vor Liebe und als du ihr sagtest, dass der wahre Grund für deinen Kinderwunsch sei, dass dein Herz schneller schlägt, dein Bauch sich mit Schmetterlingen der Freude füllt und dein Geist vor Inspiration zu sprudeln beginnt, sobald Kinder in deiner Nähe sind … da verstand sie. Es ist bereits da, das Mamagefühl, die Geborgenheit, die liebevolle Fürsorge. Es gab keinen Grund mehr zu hetzen. Gemeinsam saht ihr die Wunder, die Liebe, die Menschen, die Kinder, um euch herum. Plötzlich waren sie überall. Ihr habt euch angelächelt und umarmt … lange umarmt.
Die erste Partnerschaft ist die Partnerschaft mit dir selbst. Du weißt, dass du immer Kinder um dich haben wirst, die genau jemanden wie dich in ihrem Leben brauchen. Du kannst kleine Menschen begleiten unabhängig davon, ob das Leben leibliche Kinder für dich vorgesehen hat oder nicht. Und darüber kannst du dich mittlerweile aus ganzem Herzen freuen. Diese Kinder haben so viel von dir, gerade weil du im Moment noch keine eigenen Kinder hast. Für sie ist es ein Glücksfall und für dich vermutlich auch, wenn du einmal ehrlich mit dir bist. Du weißt heute noch nicht ob es dir in diesem Leben vergönnt sein wird, selbst eine leibliche Mutter zu werden, doch mittlerweile ist der Geist stiller, die Intuition lauter, die sagt „Alles ist gut.“ Unsere Dämonen sind verkleidete Engel. Lichtwesen, die als Schatten verkleidet zu uns kommen, um uns auf etwas aufmerksam zu machen. Sie zeigen zielsicher auf das, was unser Herz schneller schlagen lässt. Wir sollen uns die Themen anschauen und zu Herzen nehmen. Nimm zu deinem Herzen, was zu dir gehört, lass es lebendig werden im hier und jetzt. Wo findest du dein Herzensthema, genau in dieser Sekunde? Lass es Teil von dir sein. Lass den Dämonen ins Licht kommen und gib dem Engel, der sich zeigt, die Gelegenheit dich zu umarmen, auf das ihr gemeinsam wachst in Liebe verbunden – jeden Moment. Wieder und wieder.
Das Originalkunstwerk wurde übrigens schon längst verbrannt – von mir. Genauso wie ich es wärmstens empfehlen kann, einschneidende Ereignisse und Phasen künstlerisch zu verarbeiten, kann ich es empfehlen, die Ergebnisse dieser Verarbeitung – gerade die düsteren Zeitgenossen – feierlich den Flammen zu übergeben. Menschsein ist, genauso wie die Kreativität, eng verbunden mit Transformation – sich hingeben, manchmal auch den Flammen der Erkenntnis …